Die Schöpfungsgeschichte nach Mose

1. Mose 1.1 bis 1. Mose 2.4 "Die Erschaffung der Welt"

11 Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; 2 die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.

3 Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 4 Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis, 5 und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag.

6 Dann sprach Gott: Ein Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. 7 Gott machte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es, 8 und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: zweiter Tag.

9 Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. 10 Das Trockene nannte Gott Land, und das angesammelte Wasser nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war. 11 Dann sprach Gott: Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin. So geschah es. 12 Das Land brachte junges Grün hervor, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, alle Arten von Bäumen, die Früchte bringen mit ihrem Samen darin. Gott sah, dass es gut war. 13 Es wurde Abend, und es wurde Morgen: dritter Tag.

14 Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; 15 sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. 16 Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. 17 Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, 18 über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war. 19 Es wurde Abend, und es wurde Morgen: vierter Tag.

20 Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von lebendigen Wesen, und Vögel sollen über dem Land am Himmelsgewölbe dahinfliegen. 21 Gott schuf alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln. Gott sah, dass es gut war. 22 Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, und bevölkert das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich auf dem Land vermehren. 23 Es wurde Abend, und es wurde Morgen: fünfter Tag.

24 Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes. So geschah es. 25 Gott machte alle Arten von Tieren des Feldes, alle Arten von Vieh und alle Arten von Kriechtieren auf dem Erdboden. Gott sah, dass es gut war. 26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. 27 Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. 28 Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. 29 Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. 30 Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung. So geschah es. 31 Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: der sechste Tag.

2 1 So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge. 2 Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte.

4a Das ist die Entstehungsgeschichte von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden.

(Einheitsübersetzung)

Meditation zur ersten Schöpfungserzählung Gen 1,1 – 2,4a

Ganz an den Beginn stellt die Bibel in 9 Kapiteln eine Reihe von Schöpfungserzählungen. Den Auftakt macht die sogenannte erste Schöpfungserzählung in Gen 1,1 – 2,4a. Sie stammt aus dem 6. Jh. v. Chr. und ist folglich rund zweieinhalb Jahrtausende alt. Um sie angemessen zu verstehen, müssen wir folgende Aspekte im Auge behalten:

  • Die Texte geben zwar Auskunft über das Woher der Schöpfung, doch primär geht es ihnen um die Frage nach dem Ziel, dem Wohin, dem Sinn der Welt.
  • Ihre Aussagen kleiden die Schöpfungserzählungen in heute großen Teils überholte Naturkenntnisse ihrer Zeit. Die Bibel ist kein Physikbuch: Eine Antwort auf die Frage nach dem Wie der Entstehung der Welt dürfen wir von ihr nicht erwarten.
  • Die Texte greifen Mythen und Symbole des alten Orients auf und geben ihnen im Glauben Israels einen neuen Kontext. Wir müssen die Texte also symbolisch lesen.

Die erste Schöpfungserzählung erzählt, wie Gott aus dem ursprünglich vorhandenen, lebensfeindlichen Chaos in sieben Tagewerken ein geordnetes Ganzes herstellt. Er gibt der Welt eine zeitliche Ordnung: Die Sonne für den Jahresrhythmus, den Mond für den Monat, den Sabbat für die Woche sowie Tag und Nacht. Und für die Lebewesen schafft er Lebensräume. Für jeden ist Platz genug, Menschen und Tiere leben friedlich zusammen, sie sollen sich vermehren und von den Pflanzen essen. Fleisch wird ihnen nicht zum Verzehr gegeben. So leben sie im Frieden des Lebenshauses der Schöpfung Gottes. Der Mensch aber ist Haushalter, Ebenbild Gottes und soll dafür Sorge tragen, dass die heilige Schöpfungsordnung Gottes bewahrt wird.

Nach Gen 1,2 war die Erde nicht einfach inexistent, ehe Gott sein schöpferisches Werk begann, sondern „Tohuwabohu”, „Irrsal und Wirrsal”. Die Schöpfungstat Gottes im Sinne dieses Textes ist ein ordnendes Eingreifen in eine zuvor chaotische Masse. Leben ist nur möglich, wo Ordnung herrscht. Das Chaos ist lebensfeindlich und -zerstörend.

Der erste, vierte (= der mittlere) und der siebte (= der letzte) Schöpfungstag sind der zeitlichen Ordnung des Lebensraumes gewidmet: Tages-, Wochen- und Monatsrhythmus (repräsentiert durch Sonne, Mond und Sabbat) werden als Schöpfungswirklichkeiten hervorgehoben, wobei die Woche als oberstes und zugleich sakrales Moment der zeitlichen Ordnung herausragt.

Am zweiten und dritten Schöpfungstag geht es um die räumliche Ordnung des Lebensraumes: Wasser, Luft und Land sind die drei großen Lebensräume.

Der fünfte und der sechste Schöpfungstag dienen sodann der Erschaffung der Lebewesen: Der Tiere im Wasser, in der Luft und auf dem Land sowie des Menschen. In der Gesamtgliederung der sechs Tage entsprechen sich dabei Lebensräume und die sich in ihnen aufhaltenden Lebewesen: Die Lebewesen des fünften Tages besiedeln die Lebensräume des zweiten Tages und jene des sechsten Tages den Lebensraum des dritten Tages.

Für die erste Schöpfungserzählung ist also die Unterscheidung von Lebensräumen und Lebewesen, „‘Wohnraum’ und ‘Bewohnern’” (Albert de Pury), deren korrelative Zuordnung sowie ihre Einbettung in tragende Lebensrhythmen die entscheidenden Gliederungs- und Deutungsprinzipien der Schöpfung. Tiere und Menschen werden gleichermaßen als BewohnerInnen der irdischen Lebensräume charakterisiert, erhalten den gleichen Vermehrungssegen und die Pflanzen als Nahrung. Fleischverzehr ist in dem hier beschriebenen Idealzustand verboten. Schon die erste Schöpfungserzählung entwirft also „als positive Utopie für den Umgang mit der Schöpfung ein friedliches und gewaltfreies Verhältnis zwischen Mensch und Tier.” (Bernhard Irrgang) Die Lebewesen leben in ihnen zugeeigneten Lebensräumen, es ist genug Platz für alle, sie haben ausreichend Nahrung. „Dass das kostbarste Gut im Lebenshaus der Schöpfung das glückende Leben aller Lebewesen ist, entfaltet Gen 1,29f mit einem Friedensbild, das wir gerade heute als fortschrittskritisches Paradigma meditieren und konkretisieren müssen... Der zentrale Punkt dieser Utopie ist ein Zusammenleben aller Lebewesen ohne Gewalt.” (Erich Zenger)

Es liegt der Erzählung viel daran, den Rhythmus der sieben Tage mit dem Sabbat als Höhe- und Schlusspunkt als eine von Anfang an in die Schöpfung hineingelegte Ordnung Gottes zu erklären. Die Sabbatruhe am siebten Tag ist keine pure Konvention, sondern entspricht dem „Wesen” alles Lebendigen. Dass Gott den Sabbat segnet (Gen 2,3), bewirkt „die fortdauernde, lebensförderliche Gültigkeit dieser Ordnung” (Bernd Janowski). Deshalb gilt der Sabbat nicht nur dem Menschen, sondern der ganzen Schöpfung.

Dem Menschen ist die Aufgabe aufgetragen, die Welt zu ordnen und sich dabei an der von Gott in seine Schöpfung gelegten Ordnung zu orientieren. Das ist gemeint, wenn Gen 1,26-28 den Menschen als EbenbildGottes bezeichnet und ihm den Herrschaftsauftrag über die Erde zuspricht. In altorientalischen Vorstellungen wurde Gottebenbildlichkeit normalerweise nur den Königen zugesprochen. Diese hatten einerseits die Vollmacht, im Namen der Gottheit innerhalb ihres Reiches ungehindert zu walten, andererseits aber waren sie die vor dieser Gottheit Verantwortlichen. Aus vielen Texten geht hervor, dass sie wie Hirten für ihr Volk sein sollten (vgl. z.B. Ez 34,23) – und daran wurden sie auch gemessen. Wenn nun das erste Kapitel der Bibel allen Menschen die Gottebenbildlichkeit zuspricht – Männern wie Frauen – und zudem ihren Wirkungsbereich auf die ganze Welt ausdehnt, dann heißt das: Im Haus der Schöpfung sind die Menschen als KönigInnen eingesetzt, mit der unmittelbaren, von Gott geschenkten Vollmacht, dieses Haus zu gestalten, aber ebenso mit der unabweisbaren Verantwortung, wie HirtInnen für die Gemeinschaft aller Lebewesen fürsorglich da zu sein. Daher ist es nur logisch, dass der Herrschaftsauftrag des Menschen über die Tiere keineswegs deren Tötung legitimiert.

Genesis 1 - Gliederungsprinzipien (vereinfacht nach Erich Zenger)

1. Tag: ZEITRHYTHMEN

Tag und Nacht

 

 

2. Tag: LEBENSRAUM

Himmel

 

3. Tag: LEBENSRAUM

Erde und Pflanzen

4. Tag: ZEITRHYTHMEN

Sonne und Mond
(Jahr und Monat)

 

 

5. Tag: LEBEWESEN

Wasser- und Flugtiere

 

6. Tag: LEBEWESEN

Landtiere und Menschen

7.Tag: ZEITRHYTHMEN

Sabbat (Woche)

 

 

(Michael Rosenberger)