Ansprüche begrenzen
Die Menschheit hat einen angeborenen Drang, alle relevanten Güter möglichst unbefristet zu speichern. Denn Vorräte machen von kurzfristigen Umweltveränderungen unabhängiger. So ist die Vorratshaltung von Lebensmitteln schon in der Bibel ein Schlüssel gegen Hungersnöte (Gen 41). Wasserspeicher dienen zur Sicherung der Bewässerung von Feldern. Aber auch Energie hat man in Form von Wasserkraft früh zu speichern begonnen. Stauwerke gehören seit Jahrtausenden zur Infrastruktur der Wasserkraftnutzung.
Auch geistige Güter hat man früh zu speichern begonnen. Bücher und andere Schriftstücke speichern das Wissen und Können früherer Zeit. Geld – ob Münzgeld, Papiergeld oder Buchgeld – speichert das vormals erworbene Vermögen.
Solche geistigen Speicher halten nahezu „ewig“. Bücher können verbrennen oder verrotten. Aber sobald sie in mehreren Exemplaren im Umlauf sind und ihre Schrift noch gelesen werden kann, geht das in ihnen gespeicherte Wissen nicht verloren. Geld kann durch Inflation entwertet werden. Doch solange die Inflationsrate gering ist, bleibt sein Wert nahezu konstant. Das ist bei der Speicherung materieller Güter anders. Sie können nur für eine relativ eng begrenzte Zeit konserviert werden. Ein Gebäude, das nicht regelmäßig gewartet wird, ist schon nach wenigen Jahrzehnten so heruntergekommen, dass es erheblich an Wert einbüßt. Kleidung, die ungenutzt im Schrank liegt, übersteht selbst bei optimalen Lagerungsbedingungen nur wenige Jahrzehnte. Konservierte Lebensmittel halten maximal einige Jahre, frische oft nur ein paar Tage.
Gegenwärtig ist das Speichern von Energie die größte Herausforderung der Industriegesellschaften, um in eine nachhaltige Entwicklung zu gelangen. Denn es geht um gigantische Energiemengen – und um deren jederzeitige Verfügbarkeit an jedem Ort. Doch noch haben wir nicht annähernd eine Lösung.
Vielleicht kann uns der Blick in die Menschheitsgeschichte helfen: Die Speicherung materieller Güter hat (anders als die geistiger Güter) enge Grenzen. Sind diese erreicht, gibt es nur eine Lösung: Ansprüche zu senken und genügsamer zu leben. Es könnte sein, dass diese Strategie trotz aller Innovationen der Energiespeicherung ein unverzichtbarer Baustein sein wird, um unseren Energiehunger in den Griff zu bekommen.
(Michael Rosenberger)