Irdisch leben
In unserer hochtechnisierten Industriegesellschaft sind wir es gewohnt, dass wir alles herstellen, „machen“ können. Sofern das nötige Kapital vorhanden ist, werden dem menschlichen Erfinderreichtum kaum Grenzen gesetzt. Und meist geht es auch sehr schnell: Kaum ist ein Wunsch geäußert, schon steht das gewünscht Produkt bereit. „Machbarkeit“ ist das vorherrschende Paradigma einer technisch strukturierten Gesellschaft.
Doch nicht alles ist machbar. Vor allem nicht das, was wir am dringendsten brauchen und worauf wir am nötigsten angewiesen sind: Die Nahrung. Da mag man noch so oft verschleiernd von „Lebensmittelproduktion“ sprechen: Produzieren können wir die Lebensmittel gerade nicht – sie müssen wachsen. Natürlich stecken viel harte Arbeit und viel Wissen dahinter, wenn der Landwirt seinen Acker bestellt. Aber wie es Jesus im Gleichnis erzählt (Mk 4,26-29): Der Bauer bereitet den Boden und sät, er pflegt die heranwachsenden Pflanzen, doch das Wachstum selbst wird ihm geschenkt, es ist nicht seine Leistung. Vielmehr wird er selber staunen über dieses Wunder der Natur, dass aus einem Getreidekorn, einem Samen oder einer Kartoffel Pflanzen wachsen, die vielfachen Ertrag bringen und uns Menschen ernähren.
Nicht alles ist machbar. Das sollen wir nie vergessen. „Nimm dich in Acht, dass dein Herz nicht hochmütig wird“, mahnt uns das Buch Deuteronomium (Dtn 8,7-18). Dreimal ruft es uns das „nimm dich in Acht“ zu, so als würde es einmal allein nicht ausreichen. Ja, die Versuchung ist tatsächlich groß, die Lebensmittel als Selbstverständlichkeit zu betrachten, als etwas, worüber man sich keine Gedanken machen muss. Schnell haben wir vergessen, woher sie stammen und wem wir sie verdanken. Achtlos stopfen wir sie in uns hinein, gedankenlos werfen wir sie weg, wenn wir ihrer überdrüssig geworden sind. Da ist es nötig, uns die Worte zu Herzen zu nehmen: „Nimm dich in Acht, dass dein Herz nicht hochmütig wird.“
Die Notwendigkeit, uns ernähren zu müssen, ruft uns unsere Abhängigkeit stets neu in Erinnerung. Die Abhängigkeit von der nährenden Erde, und für Glaubende auch die Abhängigkeit von unserem Schöpfer. Doch Gott will uns damit nicht klein machen, will uns nicht demütigen. Er will nur dafür sorgen, dass wir auf dem Boden bleiben, erdverbunden und realistisch, und dass wir uns nicht über seine Schöpfung und unsere Mitgeschöpfe erheben.
Genau das ist gemeint, wenn die spirituelle Tradition von „Demut“ spricht. Lateinisch kommt das Wort humilitas, das Demut meint, von humus, Erde, Erdboden. Der Demütige weiß, dass er vom Erdboden genommen ist, zum Erdboden zurückkehrt und dazwischen vom Erdboden genährt und getragen wird. Auch das lateinische Wort homo, Mensch, stammt von dem Wort humus. Der Mensch ist der „Erdling“, hebräisch Adam, der vom Ackerboden genommen ist, hebräisch Adamah.
Wenn wir über den Boden unserer Felder gehen, dann spüren wir diesen Boden, der uns trägt und nährt, und wissen sehr nüchtern und realistisch, dass wir keine Überflieger sind. Hochmut lässt einen gedanklich abheben, so dass der Hochmütige über den Dingen schwebt und den Bezug zur Wirklichkeit verliert. Demut bindet uns an die Wirklichkeit, lässt uns aber auch spüren, dass diese Wirklichkeit gut ist und uns birgt. Die Erde nimmt uns in ihren mütterlichen Schoß. Der Schöpfer nimmt uns in seinen mütterlichen Schoß.
Solches Leben aus der Geborgenheit im Mutterschoß Gottes wird aber auch praktisch: Wir alle, die essen und trinken, sind gerufen, das Unsere dazu zu tun, damit die Erde in Zukunft alle Menschen nähren kann: Dass der gute Ackerboden nicht weiter erodiert und immer mehr von der dünnen Humusschicht verlorengeht; dass das Wasser nicht weiter durch Spritz- und Düngemittel belastet wird und die Wassertiere vergiftet; dass die Verdunstung der Treibhausgase Methan und Lachgas gestoppt wird, die durch übermäßige Düngung freigesetzt werden; dass Insekten und Kleinstlebewesen in unserer Kulturlandschaft leben können; und dass größere Tiere in Hecken und Gehölzen ihre Zuflucht und ihren Lebensraum finden.
(Michael Rosenberger)