Ruhen lassen
Was im Kleinen der Woche gilt, soll im Verständnis der Bibel auch den größeren Zeitrhythmus von sieben Jahren prägen: Alle sieben Jahre sollen sämtliche Felder, Weinberge und Olivenhaine brach liegen (Ex 23,10-11; Lev 25,2-7). Dann dürfen die Wildtiere fressen, was dennoch auf den Feldern wächst – gerne soll der Mensch es ihnen überlassen. Das Gebot ist weniger ökologisch oder landwirtschaftlich motiviert, etwa damit sich die Böden erholen können. Für Israel geht es vor allem um eine religiöse Erfahrung: Im Sabbatjahr soll erfahrbar werden, dass die Schöpfung im Überfluss gibt: „Der Sabbat des Landes selbst soll euch [in diesem Jahr] ernähren“ (Lev 25,6).
Letztlich geht es also um eine Glaubensfrage: Können wir es uns leisten, dem Nutzendenken und -handeln eine Grenze zu setzen? Reicht es für ein einträgliches Leben, wenn wir ein Siebtel unserer Lebenszeit und ein Siebtel der Zeit des Pflanzenwachstums dem Wirtschaften entziehen? Die Bibel beantwortet diese Frage mit „Ja!“ Ja, wir können uns dies leisten, weil Schöpfer und Schöpfung großzügiger sind als wir es brauchen. Wir brauchen nicht alles dem Nutzendenken unterwerfen – es gibt etwas jenseits des Nutzens: Einfach sein zu dürfen.
Dabei ist das von der Bibel vorgeschlagene Siebtel keine mathematisch präzise Größe, sondern eine ungefähre Größenangabe. Das Maß sabbatischer Zeiten und Räume muss so klein bleiben, dass es für die Gesellschaft als ganze tragbar ist. Zugleich muss es so groß sein, dass der ökonomische Verzicht ebenso wie das Wohlergehen der Schöpfung deutlich spürbar ist. Grob geschätzt dürfte beides mit einem Sabbatmaß zwischen zehn und zwanzig Prozent realisierbar sein – das biblische Siebtel liegt exakt in dieser Spanne.
(entnommen aus: Michael Rosenberger, Einfach sein dürfen. Ethische und spirituelle Betrachtungen über Nutzen und „Würde“ des Waldes, in: Michael Rosenberger/ Norbert Weigl (hg), Über Nutzen und Würde von Wald und Holz. Überlegungen zur Verantwortung im Umgang mit einer zentralen Lebensgrundlage, München 2014, 53-58)